Es war kurz nach dem 2. Weltkrieg, als die Grundnahrungsmittel noch rar waren, von den andern Konsumgütern ganz zu schweigen. Glücklich derjenige, welcher Verwandte in Amerika hatte, die ihn ab und zu mit einem Paket unterstützen konnten. Viele wertvolle Sachen, wie z. B. Gewürze, Seifen, Nähgarn und sogar Bohnenkaffee kamen so über den großen Teich. Unsere Familie war leider nicht mit einer amerikanischen Verwandtschaft gesegnet, aber beklagen durften wir uns deshalb auch nicht. Mit Engagement und Einfallsreichtum beim „Hamstern" wurden immer wieder kleine Quellen entdeckt, die das Überleben ermöglichten. Es gab wahrscheinlich viele. denen es noch schlechter ging.
An einem Sonntag, morgens beim Kirchgang, gesellte sich ein Mann aus unserm Dorf zu meinem Vater und beide unterhielten sich. Da mein Vater infolge einer Kriegsverletzung auf dem linken Ohr taub war, wechselte er unterwegs auf des Weggefährten andere Seite, so daß dieser nun rechts von ihm ging, und er ihn besser hören konnte.
Nachmittags erschien nun dieser Mann in unserer Wohnung und schenkte meinem Vater ein Pfund Bohnenkaffee, er gehörte nämlich auch zu den Glücklichen mit einer amerikanischen Verwandtschaft. Mein Vater wußte nicht, wie ihm geschah und sah den freundlichen Geber fragend an. Dieser zierte sich erst noch und sagte dann aber frei heraus: „Das war schön von dir, was du heute Morgen gemacht hast." Ob er es nun erläuterte oder ob Vater selbst darauf kam, daß der Mann den sogenannten Seitenwechsel* beim Gang zur Kirche meinte, weiß ich nicht mehr. Durch dieses „Auf-die-rechte-Seite-nehmen", wie es früher hieß, drückte man ja seine Ehrerbietung gegenüber dem anderen aus.
Da der Mann nicht zu wissen schien oder nicht daran dachte, daß mein Vater schwerhörig war, nahm er wohl an, daß dieser ihm, dem jüngeren, besondere Hochachtung entgegenbrachte und lohnte es ihm nun mit dieser Gabe. Vater dankte ihm hocherfreut und hütete sich aber, dieses Mißverständnis aufzuklären.
So kam unsere Familie in dieser schlechten Zeit auch einmal in den Genuß von Bohnenkaffee.
Veröffentlicht im Heimatjahrbuch Cochem-Zell 1997